10
Sep
2008

spätsommer

Schnitter1

träge käfer quälen sich
längs abgemähter ähren

grimmig zirpen grillen
tirili in spitzen wiesen

ach der bach entfacht
das karge lachen kranker lachse

oh zum großen morden
lohen schon todrote rosen

dumpfes murmeln schuldbewusster
jungfraun unter ulmen

weh ihr seelen wähnt
zum sterben wärt ihr nicht geboren

(Bild: Vincent van Gogh, Der Schnitter)
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Die Wandlung

Friedrich

Verliebt, verwirrt mein Kopf, mein Bauch.
Er sprach von Liebe und ich auch.
Reichte die Hand ihm, wie famos!
Trotz allem schweigt er, was ist los?

Riesig die Freundschaft zu ner Frau,
Ach ja, wir kannten uns genau.
Und plötzlich nahm sie all mein Geld,
Teuflisch und tückisch ist die Welt.

Voller Vertrauen, klar und rein,
Offen und ehrlich wollt ich sein.
Recht übel spielten sie mir mit,
So kalt und grausam, dass ich litt.

Ich werde nun des Weges ziehn,
Chaos und Traurigkeit entfliehn.
Hab in der Brust ein Herz aus Stein,
Treulos und ehrlos will ich sein.

(Bild: Caspar David Friedrich,
Der Wanderer über dem Nebelmeer)
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Blick in den Spiegel

Bolt

Mein neuer Spiegel im Bad,
umkränzt von hellen Lichtern,
zeigt mir lachend die Zähne:
"Hab nur Mut, keine Scheu!
Komm und schau mich an!"

Als ich vor den Spiegel trete,
bemerke ich, dass da draußen
ein hässlicher Mann lauert.
Er ist mein einziger Verehrer.
Sein Name ist Bruder Hein.

Schaudernd wende ich mich ab.
Nackt und bloß steh ich da
und betrachte mein Spiegelbild
und stelle mit Entsetzen fest:
Der Zahn der Zeit nagt an mir.

Eine Brust fehlt, die andre so lala,
dafür ein paar Jahresringe mehr.
Schmuck und Schminke, wozu?
Wozu mich rasieren, parfümieren,
da mein Liebster fort ist?

Unter meinem roten Schopf
lugen graue Schläfen hervor.
Seit er mich verlassen hat,
bin ich noch mehr ergraut,
da hilft selbst Färben nichts.

Mein Blick ist trüb geworden.
Der Kummer hat tiefe Furchen
in meine Mundwinkel gegraben.
Die Nase verstopft vom Heulen,
bekomm ich kaum noch Luft.

Einst waren seine hellen Augen
mein Spiegel, aus dem eine Frau
mich voll Seligkeit anstrahlte.
Elende Augen, sie zeigten mir
nur ein trügerisches Zerrbild!

Mein Spiegel im Bad hingegen,
er spricht immer die Wahrheit:
"Es gibt mehr Schneewittchen
als Äpfel an den Bäumen sind,
alles Gift würde nicht reichen.

Ein schönes heißes Wannenbad
tut wohler als eiskalte Rache."
Ich zupfe mir ein Haar vom Kinn,
und eine lavendelfarbene Woge
spült alsbald meine Tränen fort.

(Bild: Niels Peter Bolt, Sitzende junge Frau mit Spiegel)
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Verlorenes Paradies

Halbe Frau

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